Hörprobe aus dem Buch Der Eisverkäufer
Shownotes
Katri Lipson: Der Eisverkäufer
Erschienen beim Schenk Verlag, Passau.
Sprecher: Dustin Leitol
Übersetzung aus dem Finnischen von Tanja Küddelsman
Es überrascht, wenn ein skandinavischer Roman wie ein mitteleuropäischer wirkt. In dem drei Generationen umfassenden Familienroman der finnischen Autorin geht es nämlich um die Tschechoslowakei in der 1940er und 1950er Jahren. Oder vielleicht nur um die Geschichte der Dreharbeiten zu einem Film. Während man den in Tschechien spielenden Roman liest, vergisst man automatisch, dass er nicht auf Tschechisch geschrieben wurde, ja nicht einmal in Mitteleuropa entstanden ist. Obwohl die Autorin die Schwingungen der mitteleuropäischen Seele, die sich durch den (Alb-)Traum des Kommunismus quält, nur von außen kennen kann, schreibt sie die Geschichte des nach Schweden emigrierenden Jan – seine Konfrontation mit der „freien Welt“ – mit einem Maß an Empathie, als wäre sie selbst ebenfalls diesen Weg gegangen. Die Handlung führt schließlich zurück ins tschechische Olmütz, wo die zur dritten Generation gehörende Gunilla, die gar kein Tschechisch mehr spricht, nach ihren Wurzeln und nach ihrer Identität sucht.
Am Anfang des Buches dreht der Regisseur einen Film über ein Paar, das sich versteckt hält und auch seine Namen nicht verrät. Der Regisseur wiederum verrät – um der Authentizität willen – keine Details des nach einer linearen Chronologie gedrehten Films. Genau wie im Leben: Die Akteure können nicht wissen, was als Nächstes kommt, und dadurch gestalten sie zugleich ständig auch das Leben der von ihnen gespielten Figuren. Die Grenze zwischen den realen und den erfundenen Personen scheint zu verschwimmen. Im Roman liegt der Schwerpunkt auf dem Dialog zwischen diesen beiden „Welten“, während das Leben als Sammlung von Einzelheiten und Geschichten betrachtet wird, in der Geschichte und Gegenwart ein atemberaubendes Zwiegespräch führen.
Katri Lipsons Figuren, die nach ihrer Identität suchen und ihre Identität verbergen, stolpern durch die Geschichte vom Zweiten Weltkrieg bis zur Wende. Am Ende der bis ins Absurde getriebenen literarischen Spielereien, die auch als postmodern durchgehen könnten, ist nur eins sicher: Auf die wichtigsten Fragen hat niemand eine gültige Antwort.
Das Buch wurde im Jahr 2013 mit dem Literarturpreis von der Europäischen Union ausgezeichnet.
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